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Unter der Herrschaft des Faschismus wurden von 1933 bis 1945 Hunderttausende Menschen in Deutschland und anderen europäischen Ländern als »Zigeuner« verfolgt. Die meisten von ihnen bezeichneten sich selbst nach ihrer jeweiligen Zugehörigkeit zu verschiedenen Gruppen beispielsweise als Sinti, Roma, Lalleri, Lowara oder Manusch. Die größten Gruppen in Europa waren die Sinti und Roma. Ziel des nationalsozialistischen Staates und seiner Rassenideologie war die Vernichtung dieser Minderheit: Kinder, Frauen und Männer wurden verschleppt, an ihren Heimatorten oder in Ghettos, Konzentrations- und Vernichtungslagern ermordet. Von Verfolgungsmaßnahmen betroffen waren auch Angehörige der eigenständigen Opfergruppe der Jenischen und andere Fahrende.

1933 Sinti und Roma werden verschärft diskriminiert, zunehmend entrechtet und aus dem gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen. Es erfolgen erste Einweisungen in Konzentrationslager und ab 1934 Zwangssterilisationen. 1935 In vielen Städten des Deutschen Reiches werden Zwangslager eingerichtet. In Berlin werden Hunderte Menschen zwei Wochen vor der Eröffnung der Olympischen
Spiele 1936 in ein solches Lager im Stadtteil Marzahn eingewiesen. Die Lager dienen der Konzentration, Festsetzung und Erfassung, der Isolierung sowie der
Rekrutierung zur Zwangsarbeit.

22. September 1933 Errichtung der Reichskulturkammer als berufsständischer Zwangsorganisation unter Leitung von Goebbels. Der „rassisch“ begründete Ausschluss aus einer der Kammern, etwa der Reichsmusikkammer oder der Reichsfilmkammer, bedeutet auch für zahlreiche Sinti und Roma Berufsverbot.

15. September 1935 Verkündung der „Nürnberger Rassengesetze“. Sinti und Roma werden ebenso wie Juden zu Bürgern mit eingeschränkten Rechten herabgestuft, Verbindungen zwischen Sinti und Roma und „Deutschblütigen“ verboten. Reichsinnenminister Frick verfügt hierzu am 3. Januar 1936: „Zu den artfremden Rassen gehören […] in Europa außer den Juden regelmäßig nur die Zigeuner.“

16. Juli 1936 Zwei Wochen vor Eröffnung der Olympischen Spiele werden Hunderte Berliner Sinti und Roma in ein KZ-ähnliches Zwangslager in Berlin-Marzahn eingewiesen. Ab Mitte der Dreißigerjahre richten zahlreiche weitere Städte solche Lager ein. Durch eine Vielzahl von Sonderbestimmungen werden Sinti und Roma schrittweise entrechtet und aus nahezu allen Bereichen des öffentlichen Lebens ausgegrenzt.

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November 1937 Gründung der „Rassenhygienischen Forschungsstelle“ unter Leitung von Dr. Robert Ritter in Berlin. Ritter und seine Mitarbeiter spielen in der Folge eine wichtige Rolle bei der totalen Erfassung der Sinti und Roma im Deutschen Reich.

1938/1939 Von Juni 1938 bis Juni 1939 werden mindestens 2.000 Sinti und Roma, darunter Kinder ab 12 Jahren, in die Konzentrationslager Sachsenhausen, Buchenwald, Dachau, Mauthausen und Ravensbrück verschleppt, wo sie Zwangsarbeit für SS-eigene Unternehmen leisten müssen.

1. Oktober 1938 Auf Weisung Himmlers wird im „Reichskriminalpolizeiamt“ (RKPA) in Berlin eine zentrale Stelle („Reichszentrale zur Bekämpfung des Zigeunerunwesens“) eingerichtet, die die Erfassung und Verfolgung der Sinti und Roma im Deutschen Reich steuert und koordiniert.

Das RKPA unter der Leitung von SS-Oberführer Nebe wird im September 1939 Teil des neu gegründeten „Reichssicherheitshauptamts“ (RSHA), das bei der Planung und Organisation des Völkermords an Juden und an Sinti und Roma im besetzten Europa eine Schlüsselfunktion

8. Dezember 1938 Grundlegender Erlass Himmlers: Es sei „die Regelung der Zigeunerfrage aus dem Wesen dieser Rasse heraus in Angriff zu nehmen.“ Mit dem Ziel der „endgültigen Lösung der Zigeunerfrage“ ordnet Himmler an, alle Sinti und Roma im Deutschen Reich zu erfassen. Diese Aufgabe wird der „Rassenhygienischen Forschungsstelle“ übertragen, die bis Kriegsende über 24.000 „Rassegutachten“ von Sinti und Roma anfertigt. Die Gutachten bilden eine wesentliche Grundlage für die Selektion der Opfer und für ihre Deportation in die Konzentrations- und Vernichtungslager.

21. September 1939 Auf einer Besprechung der Amtschefs und der Leiter der Einsatzgruppen im „Reichssicherheitshauptamt“ wird beschlossen, die Juden sowie „die restlichen 30.000 Zigeuner“ aus dem Reichsgebiet in das besetzte Polen zu deportieren. Bei einem weiteren Treffen mit allen an dem Vorhaben beteiligten Stellen am 30. Januar 1940 wird diese Absicht bekräftigt und konkretisiert. Laut Protokoll soll „als letzte Massenbewegung die Abschiebung von sämtlichen Juden der neuen Ostgaue und 30.000 Zigeuner [sic!] aus dem Reichsgebiet in das Generalgouvernement erfolgen.“

17. Oktober 1939 Himmlers „Festsetzungserlass“ zur Vorbereitung der geplanten Deportationen: Allen Sinti und Roma wird unter Androhung von KZ-Haft verboten, ihre Wohnorte zu verlassen.

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Mai 1940 Erste Massendeportation ganzer Familien in das besetzte Polen auf der Grundlage des Himmler-Befehls vom 27. April 1940. In Hamburg, Köln und Hohenasperg bei Stuttgart werden zu diesem Zweck provisorische Sammellager eingerichtet. Von dort werden etwa 2.500 Sinti und Roma in Zügen nach Polen deportiert, wo sie in Konzentrationslagern und später auch in Gettos (u. a. in Warschau oder Radom) unter mörderischen Bedingungen Zwangsarbeit leisten müssen. Der größte Teil der verschleppten Männer, Frauen und Kinder kommt gewaltsam ums Leben.

11. Februar 1941 Das Oberkommando der Wehrmacht ordnet „aus rassepolitischen Gründen“ die „Entlassung von Zigeunern und Zigeunermischlingen aus dem aktiven Wehrdienst“ an.

22. März 1941 Ein Runderlass des Reichsministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung schafft die formalen Voraussetzungen für den Ausschluss von Sinti- und Roma-Kindern vom Schulunterricht, wie er in vielen Städten bereits seit Ende der Dreißigerjahre praktiziert wird.

Februar 1942 Etwa 2.000 ostpreußische Sinti und Roma, meist Bauern mit Höfen und Vieh, werden in das Getto Białystok und später von dort über Brest-Litowsk nach Auschwitz deportiert.

14. September 1942 Reichsjustizminister Thierack protokolliert nach einer Besprechung mit Goebbels über die Auslieferung von Justizgefangenen an die SS: „Hinsichtlich der Vernichtung asozialen Lebens steht Dr. Goebbels auf dem Standpunkt, daß Juden und Zigeuner schlechthin […] vernichtet werden sollen. Der Gedanke der Vernichtung durch Arbeit sei der beste.“

16. Dezember 1942 Ein auf diesen Tag datierter Befehl Himmlers („Auschwitz-Erlass“) bildet die Grundlage für die Ende Februar 1943 beginnende Deportation von 23.000 Sinti und Roma aus fast ganz Europa (darunter etwa 13.000 aus Deutschland und Österreich) in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Dort richtet die SS im Lagerabschnitt B II e ein so genanntes „Zigeunerlager“ ein.

30. Januar 1943 Erlass des „Reichssicherheitshauptamts“ über die Einziehung des Vermögens der nach Auschwitz-Birkenau deportierten Sinti und Roma.

23. März 1943 Erste Massenvernichtungsaktion im „Zigeunerlager“ Auschwitz-Birkenau: Etwa 1.700 Sinti und Roma aus der Region Białystok werden in den Gaskammern ermordet. Zwei Monate später, am 25. Mai, werden über tausend weitere Sinti und Roma im Gas erstickt.

30. Mai 1943 Josef Mengele wird Lagerarzt im „Zigeunerlager“, wo er Häftlinge für medizinische Versuche missbraucht. Vor allem Mengeles „Zwillingsforschung“, an der das Kaiser-Wilhelm-Institut beteiligt ist und die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert wird, fallen zahlreiche Sinti- und Roma-Kinder sowie jüdische Kinder zum Opfer.

16. Mai 1944 Der Versuch der KZ-Kommandantur, das „Zigeunerlager“ zu „liquidieren“ und die noch lebenden 6.000 Sinti und Roma in den Gaskammern zu ermorden, scheitert am Widerstand der Häftlinge, unter ihnen zahlreiche ehemalige Soldaten.

2. August 1944 Auflösung des „Zigeunerlagers“ in Auschwitz-Birkenau: Die letzten 2.900 Überlebenden dieses Lagerabschnitts – meist Kinder, Frauen und Alte – werden in der Nacht auf den 3. August in den Gaskammern ermordet. Etwa 3.000 Sinti und Roma sind in den Monaten zuvor als Zwangsarbeiter für die Rüstungsindustrie in andere Konzentrationslager ins Reichsgebiet verlegt worden.

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26. September 1944 Im KZ Buchenwald werden etwa 200 vor allem jugendliche Sinti und Roma auf einen Transport nach Auschwitz geschickt und zwei Wochen später im Gas erstickt.

1945 Viele Sinti und Roma kommen bei der Evakuierung der Konzentrationslager, den so genannten Todesmärschen, um oder sterben bald nach der Befreiung an den Folgen ihrer Haft.

Die Zahl der im nationalsozialistisch besetzen Europa und in den mit Hitler-Deutschland verbündeten Staaten ermordeten Sinti und Roma wird auf eine halbe Million geschätzt. Von den 35.000 bis 40.000 erfassten deutschen und österreichischen Sinti und Roma wurden etwa 25.000 ermordet.

17. März 1982 Beim Empfang des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma gibt Bundeskanzler Schmidt folgende Erklärung ab: „Den Sinti und Roma ist durch die NS-Diktatur schweres Unrecht zugefügt worden. Sie wurden aus rassischen Gründen verfolgt. Diese Verbrechen haben den Tatbestand des Völkermords erfüllt.“ Damit wird der Völkermord an den Sinti und Roma nach Jahrzehnten der Verdrängung erstmals offiziell von einer deutschen Bundesregierung anerkannt.

16. März 1997 Anlässlich der Eröffnung des Dokumentations- und Kulturzentrums Deutscher Sinti und Roma in Heidelberg erklärt Bundespräsident Roman Herzog in seiner Festrede: „Der Völkermord an den Sinti und Roma ist aus dem gleichen Motiv des Rassenwahns, mit dem gleichen Vorsatz und dem gleichen Willen zur planmäßigen und endgültigen Vernichtung durchgeführt worden wie der an den Juden. Sie wurden im gesamten Einflussbereich der Nationalsozialisten systematisch und familienweise vom Kleinkind bis zum Greis ermordet.“

Quellen: http://www.sintiundroma.de

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